Erster Tag ohne Gruppe

19.03.2020 19:41 (zuletzt bearbeitet: 20.03.2020 04:32)
avatar  Theodor
#1
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So, da ist er also. Mein erster Donnerstag ohne Selbsthilfegruppe.
Dabei war ich heute sehr nachdenklich! Langsam, aber sicher kamen mir immer mehr bedenken wegen dem Coronavirus auf! Vorher habe ich, muss ich gestehen, das noch gar nicht so richtig ernst genommen.
Aber heute, unten im Stadtpark wo der große Kinderspielplatz ist, war es unheimlich still, auch die Bänke wo immer die Drogenabhängigen und Trinker sitzen, wurden drei Mal von der Polizei aufgelöst, packten mich unzählige Gedanken und ich konnte sie nicht loswerden.
Heute Mittag z.b. kam ein Brief von meiner Tochter mit ein paar Fotos von mir und meinem Enkel drin, auf der Rückseite stand wie sehr sie mich vermissen und wie lieb sie mich haben. Und das einzige was ich dachte war, glaubt sie das ich bald den Löffel abgebe.
Wie bescheuert ich doch bin!!!
Ich konnte die Gedanken einfach nicht abwerfen, dachte darüber nach was wäre, wenn ich jetzt krank würde. Hätte es noch einen Sinn nüchtern zu sein? Plötzlich überkamen mich schlimme Panik Attacken. Angst davor krank zu sein, ausgeliefert wie zu meinen schlimmsten Trinkerzeiten! Ich hatte Schweißausbrüche und dachte ernsthaft darüber nach wie schön es wäre, wenn ich mich jetzt betäuben könnte.
Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte ging ich mit dem Hund nach draußen, wie gut das tat! Die Gedanken kamen wieder in die richtige Richtung.
Ich freute mich über den Brief meiner Tochter, freute mich über jede Blume am Wegesrand! All das würde ich nicht war nehmen, würde ich der Versuchung nachgeben mich zu betäuben!
Egal was da kommen mag, nichts ist so schlimm, dass ich der Versuchung nachgeben würde zu trinken! Wenn ich krank werde, möchte ich klar im Kopf sein. Nie mehr so wie früher, wo ich gar nichts mehr spürte!
Jetzt ist es bald acht Uhr und die Gruppe währe zu ende. Gerne hätte ich dort über den heutigen Tag geredet! Aber nachdem ich das jetzt grade aufgeschrieben habe geht es mir auch gut. Und ich merke wie wichtig es ist, wenn man einfach alles rauslassen kann…

Theodor


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19.03.2020 20:31
avatar  Texi
#2
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Hallo Theodor,

so wie dir heute wird es vielen gehen, die derzeit ihre Gruppe nicht besuchen können. Aber du hast ja alles richtig gemacht, Ablenkung ist immer eine gute Hilfe um aus dem Gedankenkarussell auszubrechen. Das Forum kann eine Gruppe natürlich nicht ersetzen, doch wie du sagst ist es hier möglich, seine Gedanken und Gefühle rauszulassen.

Das Thema Corona ist bei mir jetzt auch voll angekommen, ich informiere mich morgens und abends über Neuigkeiten und gestalte mein Leben so weit um, wie es erforderlich ist. Seit ich nicht mehr trinke kann ich fast immer einen kühlen Kopf bewahren, im Gegensatz zu früher. Die Leute, mit denen ich mich unterhalte oder schreibe, zeigen die unterschiedlichsten Reaktionen. Panik, Hilfosigkeit, Gleichgültigkeit oder Ignoranz, alles ist vorhanden, interessant was diese Bedrohung alles bewirkt.

Ich hoffe für alle Suchtkranken und alle, die mit einer psychischen Erkrankung kämpfen, dass sie Auswege aus Panik oder Hilflosigkeit finden und nicht wieder in alte, verhängnisvolle Muster zurückfallen.


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20.03.2020 01:18 (zuletzt bearbeitet: 20.03.2020 01:26)
avatar  Stan162
#3
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Hallo Texi, Hallo Theo, auch bei mir war heute der erste Donnerstag ohne Gruppe und Theo du weißt ja, dass ich nur in ganz seltenen Ausnahmesituationen nicht teilgenommen habe.
Ja, als wir letzten Donnerstag die Gruppe beendet hatten, habe ich noch mit einem Teilnehmer darüber gesprochen, ob das DRK irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen bei Gruppen beschließen wird. So was wie ein größerer Raum, Mindestabstand der Stühle 2,50 m Mundschutz usw.. Dass aber gar keine Gruppe mehr stattfindet, das hätte ich und wohl auch kein anderer der Gruppe gedacht.
Und wie gesagt, heute war auch für mich der erste Donnerstag seit langer, langer Zeit, an dem ich mal keine Gruppe besucht habe. Überhaupt war ich diese Woche immer mit einem Gefühl unterwegs, als hätte ich dauernd irgendwas versäumt oder irgendeinen Termin verschwitzt. Bis letzte Woche hatte ich feste Termine fast jeden Tag. Zwei mal die Woche Selbsthilfegruppen eine Mittwoch und die andere Donnerstag, Cafe Auszeit am Mittwoch, private Hilfe am Computer Montag oder Freitag, Darts spielen Dienstag privat bei M., und Darts spielen Donnerstag beim DRK nach der Gruppe, mindestens alle vier Wochen Musikgruppe beim DRK usw...... und jetzt nichts, null, niente, garnix fällt alles aus. Ich weiß auch nicht einmal, ob die Ausstellung stattfinden wird, weil erst am Montag die zuständige Dame der Gemeindeverwaltung wieder da ist. Ich häng völlig in der Luft. Das Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr und es fühlt sich nicht gut an. Dabei könnte ich mich doch jetzt mal Dingen widmen, die ich schon lange mal machen wollte. Zumindest die Dinge, die zu machen noch möglich sind. Zum Beispiel ein Beitrag im Forum schreiben.
Wenn ich jetzt an die Zeiten zurückdenke, als ich abhängig war, hatte ich mir immer eingebildet, ich hätte mich vor niemand zu rechtfertigen, wäre weitgehend frei. Doch unterbewusst war mir immer klar, dass ich ein Sklave meiner Sucht war. Wenn ich heute noch aktiv süchtig wäre, würde ich mich großen Unwägbarkeiten ausgesetzt sehen. Schon die bloße Anreise zum Dealer dürfte in den nächsten Tagen schwierig werden. Selbst wenn das klappt, wie lange hat er noch Material. Und dann, auf die offene Szene im Bahnhofsviertel? Und was wird wenn die Polizei die Szene auflöst, Platzverbote ausspricht? Und wo kommt überhaupt das Geld dafür her? Viele Geschäfte sind geschlossen und was will man im Aldi klauen? Okay die Baumärkte, ein kleiner Hoffnungsschimmer. Doch auch da muss man erst mal hinkommen. …...
Alles andere als schöne Aussichten für Junkies und Crackheads.

So und jetzt fühle ich mich gleich sehr viel, viel besser, nachdem ich über das hier mal nachgedacht und es mal aufgeschrieben habe. Das schlimmste wäre wirklich ein Absturz mit allen Konsequenzen die dann auf mich warten würden...
Stefan


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