Weihnachtszeit

15.12.2019 10:22
avatar  Theodor
#1
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Hallo Leute,
bald ist wieder Weihnacht. Diese Weihnacht ist es neun Jahre her, das ich Trocken geworden bin, ich verbuche das mal als ein Wunder! Es ist für mich wirklich jedes Jahr ein Wunder, wenn man bedenkt das ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr, bis dahin, keine einzige Weihnacht nüchtern war.
Und doch bemerke ich wie schwer die Zeit doch sein kann.
Beispiel: Ich war diese Woche alleine auf dem Weihnachtsmarkt, sah all die Menschen an Glühweinständen herumstehen, fröhlich Lachend und ausgelassen und vor allem nicht allein. Ich roch überall den Alkohol und bekam ganz schön Saufdruck, fing an zu schwitzen und zu Zittern. Ich merkte wie gefährlich nahe, auch nach der langen Zeit, der Alkohol doch sein kann und beschloss ganz schnell den Rückwärtsgang einzuschlagen. Aber es war ein ganz schön weiter Weg, denn der Ausgang schien immer weiter weg zu sein. Schließlich hatte ich ihn doch erreicht und atmete tief ein als ich plötzlich jenen älteren Mann erblickte, er sahs, lag fast an einer Hauswand, eine Große Lage erbrochenem vor sich und mit hängendem Kopf. Oh Mann, genauso könnte ich auch dasitzen, wenn ich diesem bescheuerten Sauftruck, diesem blöden Moment, diesen Minuten auch nur einmal nachgeben würde. Denn ich würde nicht aufhören zu Trinken bis ich mich wahrscheinlich dazu setzen würde. Ich blieb stehen überlegte wie oft ich wohl irgendwo so rumgesessen hab? Viel zu oft! „Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen“ fragte ich ihn „Hau ab, ich will hier nur ein bisschen sitzen, verschwinde du Arschloch!“ gut das tat ich dann auch, solange er noch so rummaulen kann scheint er in Ordnung zu sein.
Ich aber musste noch lange daran denken und war froh das alles überstanden zu haben. Ich dachte über den Mann nach und hoffte das er es auch nach Hause gebracht hatte. Oder wurde er später noch von der Polizei aufgegriffen? Vielleicht sogar in eine Ausnüchterungszelle verfrachtet? Oh man, wie kann man sich nur in eine solche Lage bringen, so ausgeliefert, hilflos, so abhängig! Um nichts auf der Welt möchte ich einen solchen Weg noch mal gehen. Wenn er so einen Weg gegangen ist hat er diesen Weg auch für mich gemacht, dachte ich mir.
Versteht mich nicht falsch, ich bin nu wirklich ein gefestigter Mensch! Sage das ich eine zufrieden Abstinent habe, aber auch ich bin vor solchen Momenten nicht gefeilt!
Auch nach der langen Zeit muss man immer auf der Hut sein!!! Kennt Ihr ähnliches?

Theodor


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20.12.2019 11:32
avatar  Friedel
#2
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Lieber Theo,

dein Bericht zu Weihnachten hat mich tief berührt, denn ich kenne solche unverhofften Erlebnisse. So ähnlich ist es mir im letzten Jahr bei einer Pause in einem Konzert gegangen. Mir wurde ein Saft, gemischt mit Wasser angeboten. Wie in alten Zeiten habe ich dies in einem Zug ausgetrunken und dabei bemerkt, dass da Alkohol drin war. Sofort überlegte ich, ob ich mir noch ein zweites Glas holen soll und ich könnte ja auch noch auf die Toilette gehen, denn da käme ich an dem Trinkstand vorbei und könnte mir noch eins mitnehmen. Merkt ja keiner.
Ich bin auch total erschrocken über meine Denkerei und dachte, "du hast sie doch nicht alle". Nach vielen vielen Jahren so zu reagieren auf einen größeren Schluck, mein lieber Mann. So viele Jahre Trockenheit und ich gehe ja noch regelmäßig in die Gruppen - und trotzdem.... Aber ich konnte dann mein Erlebnis meiner Begleitung "beichten" bzw. berichten. Dies hat mir auch gezeigt wie nahe doch der Alkohol immer noch steht, wenn man nicht wach bleibt für sein Suchtproblem.

Lieber Theo, alles Liebe und Gesundheit für dich. Dass du schon so lange trocken bist, toll, aber ich habe dies immer gewusst, dass du es schaffst. Du bist ein toller Mensch, von dem ich viel lernen durfte.

Machs gut Theo und Grüße an Antje.

Eure Friedel


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27.12.2019 07:33
avatar  Stan162
#3
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Hallo Theo, dein Beitrag ist sehr eindrücklich und ich kann ein bisschen nachfühlen, wie in der Weihnachtszeit der Geruch von Glühwein z.B., Suchtdruck auslösen kann. Und das, obwohl Alkohol bei mir nie eine körperliche Abhängigkeit auslöste, trotz phasenweise erheblichem Konsums. Bei mir waren das die Opiate, im speziellen das Heroin, die bei mir eine körperliche Abhängigkeit auslösten, mit allen Aspekten eines primären Suchtmittels, auch auf emotionaler Ebene. Da Weihnachten eine sehr emotionale Geschichte ist, die jeder Süchtige mit zahlreichen, auch unterbewussten Erinnerungen verknüpft, ist auch jeder Süchtige in dieser Zeit auf besondere Weise gefährdet. Jeder noch so flüchtige Eindruck kann dazu beitragen, dass in der Summe eine Krisensituation eintritt. Bei mir sind es oft Erinnerungen, die mit bestimmten Personen und Orten verknüpft sind. Speziell dann eben in der Weihnachtszeit waren es Menschen, mit denen ich gerne abgehangen habe und für die Drogen die gleiche Rolle spielten. Da ging es dann in dieser Zeit eigentlich immer darum, sich einen Vorrat anzulegen, der bis ins neue Jahr ausreicht. Wir legten unser Geld zusammen, um bessere Preise zu bekommen und auch durch den höheren Betrag eine wichtigere Rolle beim Dealer zu spielen. Da immer die schönen Erinnerungen bleiben, sind es die Momente, in denen man dann zusammen die Shore aufteilte, was konsumierte und das Gefühl hatte, über die Feiertage kann nichts passieren und es wird der schönste Jahresabschluss mit der besten Silvesterparty, zusammen mit den besten Freunden. Das sind Erinnerungen, denen ich nicht einfach so nachhängen darf, wenn ich unterwegs bin. Da muss ich dann Situationen wachrufen, in denen ich an Weihnachten entzügig zu hause saß, weil nichts geklappt hat, alle Dealer waren nicht zu erreichen und der Geldbeutel war leer. Die Konsequenz daraus, eine stationäre Entgiftung, war nicht nur einmal über Weihnachten Realität für mich. Zumindest das ging immer ganz schnell, denn zu dieser Zeit war es dort meist unterbelegt und man freute sich wenn noch ein Bett belegt werden konnte....
Stefan F. Aus dem Odenwald


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